Think differently

Ein Gespräch zwischen Lehrer und Schülerin.

Fotos:
Tomasz Ginter, Jan Bandura, Andreas Hofmann, Yuliia Kurmoiartseva
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Mit gestrecktem Bein auf einem Pfosten neben der Straße warten mein Tanzlehrer Emeel Safie und ich auf meinen Bus. Nach unserem Gespräch im Café stretchen wir unsere Beine. Er zeigt mir, wie ich meinen Nacken dehnen kann. Eine Tanzkrankheit, die eher das Gegenteil einer Krankheit ist: der Drang, sich zu bewegen und sich zu dehnen. Für Emeel Safie war Bewegung schon immer da und ist sein für sich erkanntes Talent. Bereits als Kind hat er sich täglich bewegt und verschiedene Sportarten ausprobiert. Gelandet ist er schließlich bei Contemporary Dance.

Emeel Safie ist syrisch-deutscher Tänzer, Tanzlehrer und Personal Trainer. Er beschreibt sich selbst als CGGM – Continous Growing Giving Machine. Wie eine Maschine will er sich verbessern und mehr geben. In seiner tänzerischen Karriere hat er bereits mehrere Preise gewonnen und überzeugt die Jury vor allem mit seinem einzigartigen Verständnis und Blick auf Contemporary Dance. Ich tanze seit fast drei Jahren bei Emeel. Im Gespräch erzählt er mir, welchen langen Weg er bereits hinter sich hat und welche Philosophie sein Tanzen ausmacht.

Sein Weg zum Tanz

Dieser lange Weg ist geprägt von Fragen, die seine eigene Existenz betreffen. Warum bin ich geboren? Warum existiere ich? Warum gibt es Gott? Warum haben wir so viele Religionen, wenn es im muslimischen Glauben angeblich nur einen Gott gibt?  Was ist Zeit? Was ist Geld?

Was mache ich, wenn alle Menschen um mich sterben? Ich weiß sogar noch das genaue Datum, als ich mir diese Frage gestellt habe: 06.07.2007. Die ersten Minuten würde ich einfach weinen. Und dann? Es gäbe keine Schule, kein Essen, kein Training – keine Bewegung. Das Training und die Bewegung waren wie Spielzeuge für mich, die dann einfach weg wären. Da wurde mir bewusst, dass ich in der Zukunft unbedingt etwas mit meinem Körper machen will.

Ursprünglich wollte Emeel nicht Tänzer, sondern Schauspieler werden. Bei der Aufnahmeprüfung für das Schauspielstudium am Higher Institute of Dramatic Arts in Damaskus wurde er leider abgelehnt. Die Alternative war, Tanz an der Hochschule zu studieren. Von Fußball, Basketball bis zu Martial Arts hat Emeel als Kind verschiedene Bewegungsabläufe gelernt. Die ersten Berührungspunkte mit Tanz hat er dagegen zum ersten Mal in einem Internetcafé beim Recherchieren kennengelernt. In die Aufnahmeprüfung ist er mit dem Gefühl reingegangen, dass er sicher abgelehnt wird. Er konnte die Jury jedoch überzeugen und gehörte zu den wenigen Tanzstudierenden, die aufgenommen wurden. Dennoch blieb er ehrlich zu sich:

Für mich war klar, ich wollte Tanz lernen, weil ich eigentlich Schauspieler werden wollte. Ich wollte Schauspieler werden, weil es mir so viel Spaß gemacht hat. Das mag ich bis heute.

Ehrlich zu sich selbst zu sein, ist eine Art, mit den von ihm aufgestellten Fragen umzugehen. Sich selbst in seinem Körper wahrnehmen. Kurz: Achtsamkeit üben. So überzeugte Emeel die Jury, dass er Tanz studieren will, um als künftiger Schauspieler den eigenen Körper besser wahrnehmen und kontrollieren zu können. Im Gegensatz zu seinen Mitstudierenden hatte Emeel kaum Tanzerfahrung und trainierte dementsprechend hart. Er wollte mehr zum Tanz wissen und hat sich täglich mit dem Thema auseinandergesetzt – von 7 Uhr morgens bis 23 Uhr abends.

Ich war immer da. Es gab bei mir keine Krankheit – ich war da. Auch während des Kriegs. Die einzige Ausnahme gab es nur, wenn die Universität geschlossen war. Trotz der Bomben war ich jeden Tag da.

Ich will tanzen und nicht sterben.

Seine Zielstrebigkeit zahlte sich aus und so schaffte er es als einer der wenigen, sein Studium abzuschließen. Tanz wird zu seiner Sprache. Er sieht Tanz als die einzige Sprache, die Menschen miteinander reden können, unabhängig davon, wo sie sich auf der Welt befinden. Um miteinander kommunizieren zu können, müssen wir verständlich sprechen. Wenn Emeel seine Choreografien plant, ist es ihm wichtig, dass das Publikum die Idee hinter seinem Tanz versteht. Bei anderen zeitgenössischen Tanz-Shows kritisiert er, dass sie unnötig kompliziert sind – die Message ist nur schwer zu deuten.

Es liegt an uns Kunstschaffenden, die Sprache zu vermitteln.

Foto Credits: Markus Kuhn

Während andere die Offenheit in der Interpretation von Tanzstücken abzielen und diese ermöglichen wollen, möchte Emeel mit seinem Tanz verstanden werden. Dieser Ansatz ist eng geknüpft mit seinem Verständnis von Contemporary Dance.

Was ist Contemporary Dance?

Was tanzt du? Contemporary – zeitgenössischer Tanz. Ah, das klingt spannend. Und was kann man sich darunter vorstellen? Mhm. So eine Mischung aus Ballett, Jazz und Hip-Hop. Etwas akrobatischer, aber nicht ganz. Mit vielen Bodenelementen. Der Fokus liegt auf dem Ausdruck. Die Musik ist mal langsamer, mal schneller, mal nicht vorhanden. Meine Antworten auf diese Frage sind sehr unterschiedlich und facettenreich. Emeel hat sich mit dieser Frage schon lange beschäftigt und eine klare Antwort gefunden.

Bei der Bedeutung von Contemporary Dance definiert Emeel die einzelnen Wörter. Contemporary kommt aus dem Lateinischen (lat. contemporarius) und bedeutet: zur selben Zeit lebend (living at the same time). Contemporary erfasst also den Zeitgeist. In Abgrenzung dazu steht Modern bzw. Modern Dance. Ein Haus kann vor hundert Jahren, zur Zeit seiner Errichtung, modern gewesen sein, aber es ist für uns nicht contemporary. Ein anderes Haus, das digital auf dem neuesten Stand der Technologie ist, ist es schon. Contemporary Dance heißt also Living at the same time plus Tanz. Tanz ist dabei jede Bewegung, die effortlessly (leicht, mühelos) und smoothly (weich, entspannt) ausgeführt wird und so auf die Betrachtenden wirkt.

Auf meine Frage, was der Unterschied zwischen effortlessly und smoothly ist, nennt Emeel mehrere Beispiele. Wenn jemand mit Rückenschmerzen über die Straße läuft, läuft er effortlessly, aber nicht smoothly. Er bewegt sich mühelos, weil er die Bewegungen kennt, aber sein Gang sieht für uns unentspannt aus. Während unseres Gesprächs deutet er auf die Kellnerin, die gerade die Theke säubert.

Sie bewegt sich effortlessly. Sie putzt und sortiert das Geschirr. Effortlessly, weil sie weiß, was sie machen muss. Aber wegen des Stresses macht sie es möglichst schnell und eben nicht smoothly.

Tatsächlich fordert uns Emeel oft auf, Choreografien effortlessly zu tanzen. Aber um sich so leicht bewegen zu können, muss man doch viel effort aufwenden, oder?

Auf jeden Fall. Um etwas effortlessly zu machen, brauchst du hundert Prozent Kraft.

Er zeigt auf seine Teetasse, auf der ein Teller für den Teebeutel liegt. Den Teller hochzuheben ist leicht, aber ich soll mir vorstellen, wie es wäre, wenn ein Kind das versucht. Während er den Teller hochhebt, wackelt er. Das Geschirr klirrt. Ein kleines Kind kann seine Bewegungen noch nicht gut kontrollieren, dafür braucht es Achtsamkeit, erklärt mir Emeel. Mit hundert Prozent Kraft und mehreren Wiederholungen weiß man dann, wie viel Prozent Kraft man für bestimmte Bewegungen benötigt. Contemporary Dance ist für ihn zur selben Zeit lebend mit Bewegungen, die leicht und entspannt wirken.

Think differently

Bei seinen Choreografien lässt Emeel immer Freiraum für Improvisation und entscheidet am Tag des Auftritts, was er tanzen wird. Je nachdem, wie das Publikum ist, welche Akzente er setzen will. Gelernt hat er das aus einem Bühnenauftritt in Damaskus:

Auf der Bühne haben viele professionelle und leistungsstarke Tänzer:innen performt. Als ich aufgetreten bin, hatte ich einen kompletten Blackout. Ich habe einen ganzen Teil vergessen und improvisiert. Ich habe mich nicht nur bewegt, ich habe auch getanzt. Die Leute haben danach gesagt, dass ich genau in diesem Moment besonders gestrahlt habe. 

Wenn du wirklich tanzt, dann strahlst du, weil deine Seele mitmacht.

Achtsamkeit kommt als Schlagwort immer wieder in unserem Interview vor. Achtsamkeit mit dem eigenen Körper, mit Geld und mit dem, was man eigentlich machen will. Dabei kommt man nicht umhin, sich die Frage zu stellen: Wer bin ich?

Diese Frage bildet einen zentralen Punkt in der MnAna Dance Academy, die Emeel 2020/21 gegründet hat. Mnana ist ein arabisches Wort (من أنا؟) und bedeutet: Wer bin ich? Emeel fordert seine Schüler:innen auf, den eigenen Lebensweg zu betrachten und sich über seinen Lebenszweck Gedanken zu machen. Die zweite Frage, die daran anschließt, ist: Was, wenn wir über alles anders denken. What if we think about everything differently? Auch dafür steht MnAna. Wenn wir an einem Punkt im Leben oder im Tanz nicht vorankommen, was können wir anders machen? Welche Normen haben wir übernommen und hinterfragen sie nicht? Sich zu bewegen ist ein wichtiges Element des Lebens, das oft in den Hintergrund gerät. Was heißt es, sportlich zu sein? Joggen und Rennen werden im Alltag als normal angesehen, aber wenn Menschen tanzen, ist das vermeintlich sofort ein Festival oder ein Event.

Wir sind darauf gerichtet, die Bewegungen sofort in Kategorien zu stecken. Ich habe oft mit meiner Frau Süreyya auf der Straße trainiert, weil wir keine Halle hatten. Viele Vorbeigehende haben uns sofort gefragt, was wir machen. Für uns war es einfach nur Training, etwas Normales.

Auf die Frage, was man für die MnAna Dance Academy mitbringen sollte, meint Emeel, dass jede:r, die/der für einen etwas anderen Tanzunterricht offen ist, herzlich eingeladen ist. Wie ein neugieriges Kind soll man ins Training kommen, das gerade neue Bewegungen erlernt.

Awareness Show

Wie das aussehen kann oder wer noch nicht ganz verstanden hat, was Emeel mit seiner Philosophie meint, hat die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen. Im Rahmen der Schultheatertage am 06. Juli findet unser nächster Auftritt im Gallus Theater in Frankfurt statt. In der Show geht es um Achtsamkeit im Körper, in Beziehungen und im Zweck.

Wir wollen Achtsamkeit mit der Hoffnung zeigen, dass das Publikum diese ebenfalls in ihr Leben einbinden kann.

Emeel lädt dazu ein, anders über Bewegungen zu denken und wünscht sich, dass die Leser:innen diesen Satz mitnehmen:

Baue eine Achtsamkeitsbeziehung mit dir und deinem Körper auf.  

Als der Bus endlich angekommen ist, beenden Emeel und ich die kurze Stretchroutine und gehen beide wieder unserer Wege. An dieser Stelle bedanke ich mich bei Emeel für das Interview und die nahezu drei Jahre Tanztraining, in denen ich viel gelernt habe und immer noch lerne. Es war spannend, mal abseits des wöchentlichen Trainings mit meinem Tanzlehrer über seinen Werdegang und sein Verständnis von Contemporary Dance zu sprechen. 

Weitere Infos zu Emeel Safie findet ihr auf Instagram: @emeelsafieart und @mnana_dance_academy, oder auf der Website der MnAna Dance Academy. 

Wer Lust hat, kann gerne mal zu unseren Trainings kommen oder bei unserem Tanzauftritt “Awareness” am 06. Juli um 20 Uhr im Gallus Theater (Frankfurt) zuschauen, Tickets findet ihr hier

Ich hoffe, ihr könnt aus diesem Interview auch etwas mitnehmen und sei es, dass ihr euch das nächste Mal an der Bushaltestelle bewegt und dehnt, statt auf das Handy zu schauen oder einfach mal die laue Sommernacht mit einem Tanz auf der Straße zu genießen.

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Mit gestrecktem Bein auf einem Pfosten neben der Straße warten mein Tanzlehrer Emeel Safie und ich auf meinen Bus. Nach unserem Gespräch im Café stretchen wir unsere Beine. Er zeigt mir, wie ich meinen Nacken dehnen kann. Eine Tanzkrankheit, die eher das Gegenteil einer Krankheit ist: der Drang, sich zu bewegen und sich zu dehnen. Für Emeel Safie war Bewegung schon immer da und ist sein für sich erkanntes Talent. Bereits als Kind hat er sich täglich bewegt und verschiedene Sportarten ausprobiert. Gelandet ist er schließlich bei Contemporary Dance.

Emeel Safie ist syrisch-deutscher Tänzer, Tanzlehrer und Personal Trainer. Er beschreibt sich selbst als CGGM – Continous Growing Giving Machine. Wie eine Maschine will er sich verbessern und mehr geben. In seiner tänzerischen Karriere hat er bereits mehrere Preise gewonnen und überzeugt die Jury vor allem mit seinem einzigartigen Verständnis und Blick auf Contemporary Dance. Ich tanze seit fast drei Jahren bei Emeel. Im Gespräch erzählt er mir, welchen langen Weg er bereits hinter sich hat und welche Philosophie sein Tanzen ausmacht.

Sein Weg zum Tanz

Dieser lange Weg ist geprägt von Fragen, die seine eigene Existenz betreffen. Warum bin ich geboren? Warum existiere ich? Warum gibt es Gott? Warum haben wir so viele Religionen, wenn es im muslimischen Glauben angeblich nur einen Gott gibt?  Was ist Zeit? Was ist Geld?

Was mache ich, wenn alle Menschen um mich sterben? Ich weiß sogar noch das genaue Datum, als ich mir diese Frage gestellt habe: 06.07.2007. Die ersten Minuten würde ich einfach weinen. Und dann? Es gäbe keine Schule, kein Essen, kein Training – keine Bewegung. Das Training und die Bewegung waren wie Spielzeuge für mich, die dann einfach weg wären. Da wurde mir bewusst, dass ich in der Zukunft unbedingt etwas mit meinem Körper machen will.

Ursprünglich wollte Emeel nicht Tänzer, sondern Schauspieler werden. Bei der Aufnahmeprüfung für das Schauspielstudium am Higher Institute of Dramatic Arts in Damaskus wurde er leider abgelehnt. Die Alternative war, Tanz an der Hochschule zu studieren. Von Fußball, Basketball bis zu Martial Arts hat Emeel als Kind verschiedene Bewegungsabläufe gelernt. Die ersten Berührungspunkte mit Tanz hat er dagegen zum ersten Mal in einem Internetcafé beim Recherchieren kennengelernt. In die Aufnahmeprüfung ist er mit dem Gefühl reingegangen, dass er sicher abgelehnt wird. Er konnte die Jury jedoch überzeugen und gehörte zu den wenigen Tanzstudierenden, die aufgenommen wurden. Dennoch blieb er ehrlich zu sich:

Für mich war klar, ich wollte Tanz lernen, weil ich eigentlich Schauspieler werden wollte. Ich wollte Schauspieler werden, weil es mir so viel Spaß gemacht hat. Das mag ich bis heute.

Ehrlich zu sich selbst zu sein, ist eine Art, mit den von ihm aufgestellten Fragen umzugehen. Sich selbst in seinem Körper wahrnehmen. Kurz: Achtsamkeit üben. So überzeugte Emeel die Jury, dass er Tanz studieren will, um als künftiger Schauspieler den eigenen Körper besser wahrnehmen und kontrollieren zu können. Im Gegensatz zu seinen Mitstudierenden hatte Emeel kaum Tanzerfahrung und trainierte dementsprechend hart. Er wollte mehr zum Tanz wissen und hat sich täglich mit dem Thema auseinandergesetzt – von 7 Uhr morgens bis 23 Uhr abends.

Ich war immer da. Es gab bei mir keine Krankheit – ich war da. Auch während des Kriegs. Die einzige Ausnahme gab es nur, wenn die Universität geschlossen war. Trotz der Bomben war ich jeden Tag da.

Ich will tanzen und nicht sterben.

Seine Zielstrebigkeit zahlte sich aus und so schaffte er es als einer der wenigen, sein Studium abzuschließen. Tanz wird zu seiner Sprache. Er sieht Tanz als die einzige Sprache, die Menschen miteinander reden können, unabhängig davon, wo sie sich auf der Welt befinden. Um miteinander kommunizieren zu können, müssen wir verständlich sprechen. Wenn Emeel seine Choreografien plant, ist es ihm wichtig, dass das Publikum die Idee hinter seinem Tanz versteht. Bei anderen zeitgenössischen Tanz-Shows kritisiert er, dass sie unnötig kompliziert sind – die Message ist nur schwer zu deuten.

Es liegt an uns Kunstschaffenden, die Sprache zu vermitteln.

Foto Credits: Markus Kuhn

Während andere die Offenheit in der Interpretation von Tanzstücken abzielen und diese ermöglichen wollen, möchte Emeel mit seinem Tanz verstanden werden. Dieser Ansatz ist eng geknüpft mit seinem Verständnis von Contemporary Dance.

Was ist Contemporary Dance?

Was tanzt du? Contemporary – zeitgenössischer Tanz. Ah, das klingt spannend. Und was kann man sich darunter vorstellen? Mhm. So eine Mischung aus Ballett, Jazz und Hip-Hop. Etwas akrobatischer, aber nicht ganz. Mit vielen Bodenelementen. Der Fokus liegt auf dem Ausdruck. Die Musik ist mal langsamer, mal schneller, mal nicht vorhanden. Meine Antworten auf diese Frage sind sehr unterschiedlich und facettenreich. Emeel hat sich mit dieser Frage schon lange beschäftigt und eine klare Antwort gefunden.

Bei der Bedeutung von Contemporary Dance definiert Emeel die einzelnen Wörter. Contemporary kommt aus dem Lateinischen (lat. contemporarius) und bedeutet: zur selben Zeit lebend (living at the same time). Contemporary erfasst also den Zeitgeist. In Abgrenzung dazu steht Modern bzw. Modern Dance. Ein Haus kann vor hundert Jahren, zur Zeit seiner Errichtung, modern gewesen sein, aber es ist für uns nicht contemporary. Ein anderes Haus, das digital auf dem neuesten Stand der Technologie ist, ist es schon. Contemporary Dance heißt also Living at the same time plus Tanz. Tanz ist dabei jede Bewegung, die effortlessly (leicht, mühelos) und smoothly (weich, entspannt) ausgeführt wird und so auf die Betrachtenden wirkt.

Auf meine Frage, was der Unterschied zwischen effortlessly und smoothly ist, nennt Emeel mehrere Beispiele. Wenn jemand mit Rückenschmerzen über die Straße läuft, läuft er effortlessly, aber nicht smoothly. Er bewegt sich mühelos, weil er die Bewegungen kennt, aber sein Gang sieht für uns unentspannt aus. Während unseres Gesprächs deutet er auf die Kellnerin, die gerade die Theke säubert.

Sie bewegt sich effortlessly. Sie putzt und sortiert das Geschirr. Effortlessly, weil sie weiß, was sie machen muss. Aber wegen des Stresses macht sie es möglichst schnell und eben nicht smoothly.

Tatsächlich fordert uns Emeel oft auf, Choreografien effortlessly zu tanzen. Aber um sich so leicht bewegen zu können, muss man doch viel effort aufwenden, oder?

Auf jeden Fall. Um etwas effortlessly zu machen, brauchst du hundert Prozent Kraft.

Er zeigt auf seine Teetasse, auf der ein Teller für den Teebeutel liegt. Den Teller hochzuheben ist leicht, aber ich soll mir vorstellen, wie es wäre, wenn ein Kind das versucht. Während er den Teller hochhebt, wackelt er. Das Geschirr klirrt. Ein kleines Kind kann seine Bewegungen noch nicht gut kontrollieren, dafür braucht es Achtsamkeit, erklärt mir Emeel. Mit hundert Prozent Kraft und mehreren Wiederholungen weiß man dann, wie viel Prozent Kraft man für bestimmte Bewegungen benötigt. Contemporary Dance ist für ihn zur selben Zeit lebend mit Bewegungen, die leicht und entspannt wirken.

Think differently

Bei seinen Choreografien lässt Emeel immer Freiraum für Improvisation und entscheidet am Tag des Auftritts, was er tanzen wird. Je nachdem, wie das Publikum ist, welche Akzente er setzen will. Gelernt hat er das aus einem Bühnenauftritt in Damaskus:

Auf der Bühne haben viele professionelle und leistungsstarke Tänzer:innen performt. Als ich aufgetreten bin, hatte ich einen kompletten Blackout. Ich habe einen ganzen Teil vergessen und improvisiert. Ich habe mich nicht nur bewegt, ich habe auch getanzt. Die Leute haben danach gesagt, dass ich genau in diesem Moment besonders gestrahlt habe. 

Wenn du wirklich tanzt, dann strahlst du, weil deine Seele mitmacht.

Achtsamkeit kommt als Schlagwort immer wieder in unserem Interview vor. Achtsamkeit mit dem eigenen Körper, mit Geld und mit dem, was man eigentlich machen will. Dabei kommt man nicht umhin, sich die Frage zu stellen: Wer bin ich?

Diese Frage bildet einen zentralen Punkt in der MnAna Dance Academy, die Emeel 2020/21 gegründet hat. Mnana ist ein arabisches Wort (من أنا؟) und bedeutet: Wer bin ich? Emeel fordert seine Schüler:innen auf, den eigenen Lebensweg zu betrachten und sich über seinen Lebenszweck Gedanken zu machen. Die zweite Frage, die daran anschließt, ist: Was, wenn wir über alles anders denken. What if we think about everything differently? Auch dafür steht MnAna. Wenn wir an einem Punkt im Leben oder im Tanz nicht vorankommen, was können wir anders machen? Welche Normen haben wir übernommen und hinterfragen sie nicht? Sich zu bewegen ist ein wichtiges Element des Lebens, das oft in den Hintergrund gerät. Was heißt es, sportlich zu sein? Joggen und Rennen werden im Alltag als normal angesehen, aber wenn Menschen tanzen, ist das vermeintlich sofort ein Festival oder ein Event.

Wir sind darauf gerichtet, die Bewegungen sofort in Kategorien zu stecken. Ich habe oft mit meiner Frau Süreyya auf der Straße trainiert, weil wir keine Halle hatten. Viele Vorbeigehende haben uns sofort gefragt, was wir machen. Für uns war es einfach nur Training, etwas Normales.

Auf die Frage, was man für die MnAna Dance Academy mitbringen sollte, meint Emeel, dass jede:r, die/der für einen etwas anderen Tanzunterricht offen ist, herzlich eingeladen ist. Wie ein neugieriges Kind soll man ins Training kommen, das gerade neue Bewegungen erlernt.

Awareness Show

Wie das aussehen kann oder wer noch nicht ganz verstanden hat, was Emeel mit seiner Philosophie meint, hat die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen. Im Rahmen der Schultheatertage am 06. Juli findet unser nächster Auftritt im Gallus Theater in Frankfurt statt. In der Show geht es um Achtsamkeit im Körper, in Beziehungen und im Zweck.

Wir wollen Achtsamkeit mit der Hoffnung zeigen, dass das Publikum diese ebenfalls in ihr Leben einbinden kann.

Emeel lädt dazu ein, anders über Bewegungen zu denken und wünscht sich, dass die Leser:innen diesen Satz mitnehmen:

Baue eine Achtsamkeitsbeziehung mit dir und deinem Körper auf.  

Als der Bus endlich angekommen ist, beenden Emeel und ich die kurze Stretchroutine und gehen beide wieder unserer Wege. An dieser Stelle bedanke ich mich bei Emeel für das Interview und die nahezu drei Jahre Tanztraining, in denen ich viel gelernt habe und immer noch lerne. Es war spannend, mal abseits des wöchentlichen Trainings mit meinem Tanzlehrer über seinen Werdegang und sein Verständnis von Contemporary Dance zu sprechen. 

Weitere Infos zu Emeel Safie findet ihr auf Instagram: @emeelsafieart und @mnana_dance_academy, oder auf der Website der MnAna Dance Academy. 

Wer Lust hat, kann gerne mal zu unseren Trainings kommen oder bei unserem Tanzauftritt “Awareness” am 06. Juli um 20 Uhr im Gallus Theater (Frankfurt) zuschauen, Tickets findet ihr hier

Ich hoffe, ihr könnt aus diesem Interview auch etwas mitnehmen und sei es, dass ihr euch das nächste Mal an der Bushaltestelle bewegt und dehnt, statt auf das Handy zu schauen oder einfach mal die laue Sommernacht mit einem Tanz auf der Straße zu genießen.

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